Die 45. Commission on Narcotic Drugs der Vereinten Nationen ist Mitte März in Wien zu Ende gegangen. Schwerpunkt der diesjährigen „thematischen Debatte“ war die Bestandsaufnahme des UN-Aktionsplans über die „Eradikation unerlaubter Drogenpflanzen und über Alternative Entwicklung“ aus dem Jahr 1998.
In Peru war es Mitte der 90er Jahre zu einem 50%-igen Rückgang der Kokaproduktion gekommen. Der Markt brach zusammen. Felder wurden aufgegeben. Die Politik verbuchte diesen Rückgang für sich und ihre Operation Airbridge. Verdächtige Flugzeuge wurden zur Landung gezwungen und notfalls abgeschossen. Drogenflüge gingen drastisch zurück – bis im letzten Jahr irrtümlich ein Flugzeug mit einer US-amerikanischen Missionarsfamilie an Bord abgeschossen wurde. Das Programm liegt seither auf Eis.
Doch bereits seit Mitte 1998 steigen die Kokapreise in vielen Gegenden Perus wieder an, nehmen Bauern in Abwesenheit ökonomischer Alternativen ihre Kokafelder wieder in Produktion oder legen neue an. Zeitgleich zur Operation Airbridge wurden in Kolumbien die mächtigen Drogenorganisationen von Medellín und Cali zerschlagen, die sich überwiegend aus Peru mit Rohstoff versorgt hatten. Der Rückgang der Kokaproduktion in Peru hatte von daher nicht zuletzt auch konjunkturelle Ursachen.
In den großen Städten, vor allem in Lima, kam es zu einem sehr ernsten Anstieg des Drogenkonsums, hervorgerufen offenbar durch ein Überangebot und einen Preisverfall. Die Zahl der Menschen mit Kokainerfahrung hat dort zwischen 1995 und 1997 um rund 60% zugenommen. Offizielle peruanische Quellen sprechen von 60.000 Hektar Koka im letzten Jahr und erstmals auch von Schlafmohnanbau, Tendenz steigend. In den letzten zwei Jahrzehnten sollen in Verbindung mit dem Kokaanbau in Peru rund 2,3 Millionen Hektar Wald vernichtet worden sein.
Kolumbien gilt nicht als drogenpolitisches Musterland, obwohl es Jahr für Jahr mit immer neuen Rekorden von Beschlagnahmungen, Verhaftungen und Eradikationen aufhorchen lässt. Im letzten Jahr wurden annähernd 100.000 Hektar Koka und Schlafmohn aus der Luft mit dem Pflanzengift Glifosat besprüht. Die UNO spricht von einem Rückgang um 11%; die CIA von 25% Zuwachs.
Kolumbien erhält von den USA Waffen- und Ausbildungshilfe für den Drogenkrieg in Milliardenhöhe. Ein eben vorgelegter Bericht des US-Rechnungshofes (GAO) moniert indessen, dass von 56 Millionen Dollar, die für die Alternative Entwicklung zur Verfügung gestellt worden waren, nur sechs Millionen tatsächlich ausgegeben wurden. Zwei linksgerichtete Guerillagruppen und rechtsextreme Paramilitärs – mit zusammengenommen wohl an die 40.000 Kämpfern – kontrollieren weite Teile des Landes und finanzieren sich unter anderem auch aus Drogengeschäften. Die Entführung deutscher Projektmitarbeiter durch die FARC-Guerilla im letzten Jahr steht ebenso als Fanal für miserable Rahmenbedingungen wie die „versehentliche“ Besprühung von Projekten der UNO und der deutschen GTZ mit Glifosat.
Heute ist Afghanistan in aller Munde: Was zu erwarten war, ist eingetroffen. Der Anbau von Schlafmohn hat wieder radikal zugenommen. Die UNO schätzt ihn auf gegenwärtig zwischen 45.000 und 65.000 Hektar, das entspricht einer Produktion von 1.900 – 2.700 Tonnen Rohopium, dem Stand von Mitte der 90er Jahre. Weniger immerhin als die 4.600 Tonnen (1999) und 3.300 Tonnen, mit denen Afghanistan im Jahr 2000 Ausgangspunkt für nahezu 80% des Heroins auf den Weltmärkten gewesen war. Im letzten Jahr ging die Opiumproduktion nach einem Anbauverbot der Taliban in den von ihnen kontrollierten Gebieten gegen Null – und die Preise, die den Bauern gezahlt werden, um das Zehnfache in die Höhe. Die afghanische Interimsregierung hat am 17. Jänner ein umfassendes Verbot für Anbau und Handel mit Opium erlassen, verfügt aber nicht über die Möglichkeiten, dieses Verbot zu vollziehen. Die Sicherheitslage ist in den meisten Teilen des Landes äußerst prekär. Bei Preisen von gegenwärtig bis zu 400 US-Dollar/kg werden die Einnahmen bei 760 Mio. bis zu 1 Mrd. Dollar liegen; ein Preisrückgang ist zu erwarten, doch selbst auf dem niedrigen Niveau vom Februar 2000 würde die erwartete Opiumproduktion etwa 100 Mio. Dollar bringen. Hier Alternativen zu schaffen, ist eine langfristige Herausforderung.
Auf der Tokioter Afghanistan-Geberkonferenz vom 21./22. Jänner wurde auch für die Drogenkontrolle eine grobe Strategie abgesteckt und ein Finanzbedarf von 120 Mio. Dollar für die ersten zweieinhalb Jahre angenommen. Zusagen – auch von Österreich – wurden bereits gemacht. Was noch fehlt, sind konkrete Pläne.
Seitens der Vereinten Nationen gibt es bisher nur eine „Projektidee“ zu einem Koordinierungsvorhaben im Volumen von 5,5 Mio. Dollar. Bei der Dringlichkeit des Bedarfs in Afghanistan und der hohen Aufmerksamkeit, die das Land im Augenblick genießt, besteht die Gefahr, dass andere Länder und Regionen aus dem Blickfeld geraten und dass Mittel und Energien verpuffen, solange es noch an konkreten Konzepten mangelt. Geber werden gut daran tun, die Verwendung ihrer Mittel aufmerksam zu verfolgen.
Das „Drogenproblem“ der Länder des Südens stellt sich für diese primär als komplexes Entwicklungsproblem dar. Alternative Entwicklung ist der Versuch, (mit) den Bauern (zusammen) Daseinsalternativen zu erschließen. Die Konzepte dazu wurden im Laufe der Jahre erweitert und verfeinert: Vom simplen Substitutionsansatz (Kaffee- statt Kokaanbau) hin zu einer integrierten ländlichen, ja menschlichen Entwicklung.
Mit dem zunehmenden Drogenkonsum in den früher so genannten Produzentenländern spielen heute auch Vorhaben in den Bereichen Prävention und Therapie eine Rolle. Mit dem Instrumentarium, das der Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung steht, lassen sich viele der oben genannten verheerenden Folgen der Drogenwirtschaft bekämpfen, lässt sich ein Klima schaffen, das den Bauern einen Ausstieg erleichtert.
Afghanistan, Kolumbien, Myanmar: Politische Instabilität stellt eine Nährlösung für die illegale Drogenwirtschaft dar, die wiederum als Katalysator für Menschenrechtsverletzungen, Korruption, Chaos und Gewalt wirkt. Alternative Entwicklung kann an ganz zentraler Stelle einen Beitrag zu Krisenprävention und Friedenssicherung leisten. Ob sich indessen der Anbau so genannter Drogenpflanzen bei persistenter Nachfrage überhaupt beseitigen lässt? Selbst 15 Jahre Drogenkrieg in den Anden sind den Beweis dafür schuldig geblieben.
Partielle oder gar virtuelle Erfolge publikumswirksam zu inszenieren wird auf die Dauer als Legitimation nicht reichen. Eines ist klar: Wenn Repression gegen die bäuerlichen ProduzentInnen gerichtet ist (statt gegen die kriminellen Organisationen des Drogenhandels), dann steht gewissermaßen das „Alternativ“ der „Entwicklung“ im Wege: Entwicklung braucht nicht nur kluge Konzepte und ausreichende Mittel, sie braucht vor allem Zeit. Ultimative Eradikationsvorgaben rauben sie ihr. Nachhaltige Entwicklung heißt: Partizipative Entwicklung. Durch repressive Maßnahmen setzt man sich von vornherein in Gegnerschaft zur Zielgruppe. Der „Entwicklungshelfer“ kam aus der Sicht der Bauern nur allzu oft im Windschatten von Sprühflugzeugen und paramilitärischen Eradikationstrupps. So kann Partizipation nicht funktionieren. Man muss die Köpfe und Herzen der Bauern erobern. Ohne oder gar gegen sie geht es nicht.
1988 | 1995 | 1998 | 2000 | 2001* | |
Afghanistan | 32.000 | 53.759 | 36.674 | 82.171 | 7.606 |
Laos | 40.400 | 18.520 | 26.837 | 19.052 | 17.255 |
Myanmar | 104.200 | 154.070 | 130.300 | 108.700 | 105.000 |
Total | 211.024 | 249.919 | 237.819 | 221.952 | 144.294 |
Quelle: United Nations Office for Drug Control and Crime Prevention, Global Illicit Drug Trends, 2001, S. 60
Kokaanbau
in Hektar, ausgewählte Jahre
1988 | 1995 | 1998 | 2000 | 2001* | |
Bolivien | 48.900 | 48.600 | 38.000 | 14.600 | 19.900 |
Kolumbien | 34.000 | 50.900 | 101.800 | 163.289 | 144.807 |
Peru | 110.400 | 115.300 | 51.000 | 34.200 | 46.232 |
Total | 193.300 | 214.800 | 190.800 | 212.089 | 210.939 |
* Ein neues Monitoring-System der UN (SIMCI) legte erstmals für 1999 Zahlen für Kolumbien vor, die um fast 30.000 ha über den US-Zahlen lagen. Die Schaffung eines unabhängigen Monitoring-Systems ist – wie auch die Publikation der hier zitierten jährlichen Statistiken durch die UN – übrigens auch ein Verdienst Arlacchis. Vorher war man auf die Zahlen des State Department angewiesen, die auf Satellitenaufnahmen der CIA beruhen.
Robert Lessmann lebt als freier Journalist und Consultant in Wien. Zur Drogenthematik erschienen von ihm zuletzt Zum Beispiel Kokain (siehe SWM 11/01 S.37) und als Mitautor Drogen und Entwicklung in Lateinamerika, A4-Broschüre, 84 Seiten, kostenlos zu
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